Nach Nawrocki-Wahl
Donald Tusk gewinnt Vertrauensvotum

Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk erhält vom Parlament Unterstützung für seinen pro-europäischen Reformkurs. Mit dem neuen rechtsnationalen Präsidenten Karol Nawrocki wird es Tusks Koalition trotzdem schwer haben.

    Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk betritt den Plenarsaal des Unterhauses, wo eine Vertrauensabstimmung für sein Kabinett ansteht.
    Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk kann aufatmen: Die Vertrauensfrage im Parlament konnte er für sich entscheiden. (picture alliance / Attila Husejnow)
    Die Präsidentschaftswahl in Polen galt als richtungsweisend, auch für Europa - sie endete mit dem knappsten Ergebnis in der Geschichte des Landes: Knapp 370.000 Wählerstimmen mehr reichten dem nationalkonservativen Kandidaten Karol Nawrocki in der Stichwahl, um sich das Amt zu sichern.
    Nawrocki ist zwar parteilos, wurde aber massiv von der Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unterstützt. Der promovierte Historiker kam nach Angaben der Wahlkommission auf 50,89 Prozent der Stimmen. Der Kandidat aus dem Lager der Regierungskoalition, Rafal Trzaskowski, erreichte 49,11 Prozent.
    Der Wahlausgang setzte Polens liberal-konservative Regierung unter Ministerpräsident Donald Tusk unter Druck, dessen pro-europäischer Kurs in Frage gestellt wurde. Tusk hat deshalb am 11. Juni 2025 im Sejm, dem Unterhaus des polnischen Parlaments, die Vertrauensfrage gestellt, die er mit 243 Stimmen gewann. 210 Abgeordnete stimmten gegen ihn.
    Damit sprach das polnische Parlament der Regierung das Vertrauen aus. In seiner Rede räumte Ministerpräsident Tusk ein, dass die Herausforderungen dennoch groß seien. Dafür wolle er die volle Verantwortung übernehmen.

    Übersicht

    Wofür steht Karol Nawrocki?

    Karol Nawrocki hat noch kein politisches Amt bekleidet und gehört auch keiner Partei an. Im Präsidentschaftswahlkampf trat er jedoch als Kandidat der nationalkonservativen Oppositionspartei PiS an, die bis 2023 acht Jahre lang auch den Regierungschef gestellt hatte. Man kann daher davon ausgehen, dass Nawrocki als Präsident einen ähnlichen rechtsnationalistischen Kurs verfolgen wird, auch in der Europapolitik.
    Der Warschauer Politologe Antoni Dudek nennt Nawrocki ein "klassisches Beispiel für eine autoritäre Persönlichkeit". Der gebürtige Danziger stammt aus einfachen Verhältnissen, war in seiner Jugend Amateurboxer und jobbte als Türsteher in einem Luxushotel. Er hat Kontakte ins Rotlichtmilieu und zur Hooliganszene.
    Bekannt geworden ist der 42-Jährige als erzkonservativer Historiker. Die rechtspopulistische PiS machte Nawrocki während ihrer Regierungszeit zum Leiter des Instituts für Nationales Gedenken. Eine Institution, die vergleichbar ist mit der inzwischen aufgelösten Stasi-Unterlagenbehörde in Deutschland.
    Als deren Leiter setzte er sich unter anderem dafür ein, Gedenkstätten aus der Sowjetzeit aus der Öffentlichkeit zu entfernen. Ein Vorgehen, mit dem er Russland gegen sich aufbrachte. In seiner akademischen Arbeit beschäftigte er sich mit dem antikommunistischen Widerstand und der organisierten Kriminalität in Polen in der Zeit des Kommunismus.
    Nawrocki gilt zudem als Bewunderer von Donald Trump. Seine Parole lautet: "Polen zuerst!" Ähnlich wie dem US-Präsident haben auch Nawrocki persönliche, kontroverse Skandale im Wahlkampf nicht spürbar geschadet. So gab es beispielsweise Berichte darüber, dass er früher als Hooligan aktiv gewesen und an entsprechenden Kämpfen teilgenommen haben soll. Abgestritten hat er das nicht. Viele Wählerinnen und Wähler hat es aber offenbar auch nicht davon abgehalten, Nawrocki ihr Stimme zu geben.

    Wieso hat Nawrocki die Wahl gewonnen?

    Eine entscheidende Rolle für den Wahlgewinn Nawrockis dürfte die Unbeliebtheit der aktuellen Regierung gespielt haben. Ministerpräsident Donald Tusk und seinem liberal-konservativen Kabinett ist es bislang nicht gelungen, wichtige Wahlversprechen und Reformprojekte voranzubringen, etwa die Rückabwicklung der umstrittenen Justizreform der vorangegangenen PiS-Regierung.
    Aus diesem Grund entschieden sich offenbar viele Wähler, die der Regierungskoalition bei den Parlamentswahlen 2023 noch ihre Stimme gegeben hatten, dieses Mal den Wahllokalen fern zu bleiben. Die Wahlbeteiligung war mit offiziell 71,63 Prozent fast drei Prozentpunkte niedriger als vor zwei Jahren, als eine Rekordzahl von 74,4 Prozent der Wählerinnen und Wähler ihre Stimme abgaben.
    Nawrocki konnte bei der Stichwahl besonders bei den Jungwählern punkten. Insgesamt stimmte mehr als jeder Zweite der 18- bis 29-Jährigen für ihn. Und viele von ihnen hätten lieber einen noch rechteren Präsidenten gehabt: In der ersten Runde der Präsidentschaftswahl am 18. Mai hatte fast jeder dritte Jungwähler für die Konfederacja gestimmt, eine rechtsextreme, populistische und europaskeptische Partei, die mit fast 15 Prozent der Wählerstimmen auf dem dritten Platz landete.
    Die Politologin Agnieszka Łada-Konefał sieht im Ausgang der Präsidentenwahl weniger ein Votum für Nawrocki als vielmehr eine „Gelbe oder sogar Rote Karte“ für die Regierung Tusk, wie die stellvertretende Direktorin des Deutschen Polen-Instituts betonte. Dabei war vor allem der bisherige, aus den Reihen der PiS stammende Präsident Andrzej Duda für den innenpolitischen Stillstand verantwortlich. Immer wieder hat Duda entscheidende Gesetze mit seinem Veto blockiert.
    Ein weiterer wichtiger Aspekt für den Wahlausgang dürfte der „Angstwahlkampf“ gewesen sein, den beide Seiten geführt haben. So wurde versucht, Angst vor dem Gegner und den vermeintlichen Folgen der jeweiligen Politik zu schüren: eine Strategie, die im rechten Lager insgesamt besser verfing.
    Nawrocki gelang es, die wachsende Skepsis in Polen gegenüber einer allzu engen EU-Integration und der Verlagerung von nationalen Befugnissen an EU-Institutionen sowie gegenüber Migrantinnen und Migranten für sich zu nutzen.
    Zwar versuchte auch sein Rivale Trzaskowski bei Themen wie Migration mit Positionen rechts der Mitte konservative Wählerinnen und Wähler zu gewinnen. Als Vertreter des liberalen Flügels seiner Partei fehlte ihm für solche Positionen aber möglicherweise die Glaubwürdigkeit.

    Was bedeutet die Wahl Nawrockis für die Regierung Tusk?

    Durch die Wahl von Nawrocki wird Minister Präsident Donald Tusk voraussichtlich zu einer "Lame Duck" werden. Beobachter gehen davon aus, dass Nawrocki noch stärker als sein ebenfalls PiS-naher Vorgänger Andrzej Duda vom Vetorecht des Präsidenten Gebrauch machen wird.
    Für Tusks Regierung dürfte es damit deutlich schwieriger, wenn nicht sogar unmöglich werden, große Reformen in der Innenpolitik umzusetzen, also beispielsweise die Rückabwicklung der umstrittenen PiS-Justizreform oder auch gesellschaftspolitische Projekte wie eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts.
    Nachdem Tusk die Vertrauensabstimmung vom 11.6. gewonnen hat, hofft die Regierung auf Rückenwind, um den Reformkurs auch unter der Präsidentschaft von Nawrocki fortsetzen zu können. „Wir haben das Mandat, die volle Verantwortung für das Geschehen in Polen zu übernehmen“, sagte Tusk in einer Debatte vor der Vertrauensabstimmung im Parlament.
    Dem Präsidenten in Polen kommt bei der Gesetzgebung eine bedeutende Rolle zu. Er kann nach Belieben sein Veto gegen Gesetze einlegen, die das Parlament verabschiedet hat. Der aktuellen Mitte-Links-Koalition von Tusk fehlt im Sejm zudem eine eigene Drei-Fünftel-Mehrheit, um ein Nein des Präsidenten überstimmen zu können.
    Unklar ist aktuell, in welchen Bereichen es überhaupt zu einer Kooperation zwischen einem Präsidenten Nawrocki und der Regierung Tusk kommen kann. Selbst in der Außenpolitik ist nicht ausgeschlossen, dass Nawrocki versuchen könnte, Positionen der Regierung diplomatisch zu konterkarieren.
    So wird erwartet, dass Nawrocki im Hinblick auf die Ukraine einen weniger kooperativen Kurs ansteuern wird. Im Wahlkampf hatte er sich beispielsweise gegen einen NATO-Beitritt des Landes ausgesprochen.
    Außerdem könnte Nawrocki das Ziel verfolgen, der rechtpopulistischen PiS-Partei, die ihn im Wahlkampf unterstützt hat, zurück an die Macht zu verhelfen. Denkbar ist, dass er versuchen könnte, vorgezogene Parlamentswahlen in Polen herbeizuführen. Regulär finden diese erst in etwa zweieinhalb Jahren statt.
    Bis dahin könnte sich die Polarisierung innerhalb der polnischen Gesellschaft wegen der erwarteten Konfrontation zwischen Präsident und Regierung weiter verschärfen, so die Befürchtung.

    Welche Konsequenzen hat die Wahl Nawrockis für die EU?

    Als Staatspräsident kann Nawrocki ein Mitspracherecht bei der polnischen Außen- und Europapolitik beanspruchen. Beispielsweise hat er ein Vetorecht bei der Nominierungen von Botschaftern. Seine Möglichkeiten sind jedoch begrenzt. Letztlich gibt die Regierung den außenpolitischen Kurs des Landes vor.
    Gleichwohl könnte sich die erwartete Blockadehaltung Nawrockis gegenüber der Regierung auch auf Polens internationale Handlungsfähigkeit auswirken. „Wenn innenpolitisches Chaos herrscht, hat das auch Auswirkungen auf die Außenpolitik“, betont die stellvertretende Direktorin des Deutschen Polen-Instituts, Łada-Konefał. 
    Die polnische Politologin rechnet damit, dass Nawrocki außenpolitisch vor allem auf US-Präsident Trump setzen wird. Das werde die gerade erst wieder belebte Zusammenarbeit des Weimarer-Dreiecks Frankreich-Deutschland-Polen nicht erleichtern.
    Der CDU-Außenpolitiker Paul Ziemiak sagte im Deutschlandfunk, dass er einen nationalistischen Kurs des neuen polnischen Präsidenten erwarte. Dem deutsch-polnischen Verhältnis steht vermutlich eine Belastungsprobe bevor.
    Denn Nawrocki gilt als wenig deutschlandfreundlich. So hat er mit der Forderung nach Weltkriegs-Reparationen Wahlkampf gemacht und davor gewarnt, dass Deutschland nicht zu trauen sei. Als Beweis verwies er auf die neue deutsche Migrationspolitik und die Zurückweisung von Migranten an der deutschen Grenzen, ein Argument, mit dem er zugleich die Angst vor Geflüchteten und "Überfremdung" in Polen weiter geschürt hat.
    Europapolitisch dürfte Nawrocki neben dem neuen Migrations- und Asylpakt vor allem die EU-Klimapolitik und den sogenannten Green Deal ins Visier nehmen. Schon im Wahlkampf übte er scharfe Kritik an diesen beiden EU-Projekten und kündigte an, alles tun zu wollen, um sie zu verhindern.

    ww, rja
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